public 7-8/2020
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GEMEINDEAUTONOMIE
ins Boot holen als bei folgenschweren Entscheidungen. Viele Irrfahrten könn- ten bei entsprechender Konsultation der kommunalen Spar- und Verwal- tungsmeister vermieden werden, doch scheint das auf Landes- und Bundesebe- ne schlicht keinZiel zu sein. Peter Biwald hat in dem Zusammenhang einen Blick auf denFinanzausgleich imJahr 2018 ge- worfen. Die Zahlen sind entlarvend: • Die Gemeinde-Ertragsanteile aus der Primärverteilung beliefen sich auf 7,7 Milliarden Euro (Gemeinden ohne Wien). • Der Transfersaldo zwischen Ge- meinden und Trägern öffentlichen Rechts (großteils die Länder) wies ein Minus von 2,7 Milliarden Euro auf. Transferausgaben von 3,6 Mil- liarden Euro (davon 3,3 Milliarden für Krankenanstalten, Sozialhilfe und Landesumlage) standen Trans- fereinnahmen von einer Milliarde Euro gegenüber. • Die Gemeinde-Ertragsanteile nach Transfers belaufen sich somit auf 5 Milliarden Euro, die den Gemein- den schließlich für die Finanzie- rung ihrer eigentlichen Aufgaben zur Verfügung standen. „Im Jahre 2018 wurden 35 Prozent der den Gemeinden zustehenden Ertrags- anteile durch den sekundären und tertiären Finanzausgleich abgezogen“, zieht Biwald den tristen Schlussstrich und sagt: „Im Jahr 2012 waren dies ‚erst‘ 30 Prozent gewesen.“ Für den ur-
eigensten Dienst am Bürger steht den Gemeinden immer weniger Geld zur Verfügung. FOLGENSCHWERE IGNORANZ. Dass es überhaupt so weit kommen kann und den Gemeinden zunehmend die gestalterische Luft genommen wird, liegt auch daran, dass Bund wie Länder sie imZuge von Reformvorhaben über- gehen respektive nicht in der gebüh- renden Form in die Pläne einbinden. Ungerecht ist das nicht nur im Hin- blick auf den Respekt gegenüber den bürgernahen Gebietskörperschaften, sondern vor allem, weil die Gemein- den in ihrer Rolle als Leistungs- und Fi- nanzierungspartner überrollt werden. „Die Ziel-Steuerung Gesundheit wur- de von Bund, Ländern und Sozialver- sicherungsträgern vereinbart und ge- steuert – ohne die Gemeinden“, nennt der KDZ-Geschäftsführer ein krasses Beispiel und führt weiter aus: „Und das, obwohl diese über die Kranken- anstaltenumlage 1,2 Milliarden Euro pro Jahr mitfinanzieren und gerade bei der Gesundheitsprävention, einem wichtigen Wirkungsziel der Verein- barung, ein wichtiger Partner sind.“ Ein weiteres Beispiel ist der Ausbau der Kinderbetreuung. Sie wurde über eine Art 15a-Vereinbarung zwischen Bund und Ländern geregelt – wieder ohne ausreichende Einbeziehung der Gemeinden, obwohl sie die Betreiber bzw. Gewährleister der Kinderbetreu- ung vor Ort sind und mehr als zwei Drittel finanzieren. DIE GEMEINDEAUTONO- MIE IST IN DEN LETZTEN JAHREN BEZIEHUNGS- WEISE JAHRZEHNTEN ERODIERT. Mag. Peter Biwald, Geschäftsführer des Zentrums für Verwaltungsfor- schung (KDZ)
Nicht minder gemein engen die Aus- wirkungen der Bildungsreform die Spielräume der Gemeinden massiv ein. Auch sie wurde zwischen Bund und Ländern vereinbart, ohne die Ge- meinden einzubinden, die als Erhalter der Schulstandorte im Pflichtschul- bereich wichtige Partner sind. Mit 4,2 Milliarden trägt der Bund die Haupt- last. Doch die Gemeinden tragen mit 1,3 Milliarden Euro pro Jahr doppelt so viel dazu bei als die Länder mit ihrem vergleichsweise dürftigen Beitrag in Höhe von 600 Millionen Euro. In der Planung und Finanzierung der Pfle- ge waren die Gemeinden, wie schon erwähnt, bereits bei der Abschaffung des Pflegeregresses als potenzielle Warner ignoriert worden. Und auch bei den Verhandlungen zur „Pflege- finanzierung neu“ wurden sie bislang übergangen. „Für die Gemeindefinanzen haben die genannten Bereiche wie auch noch an- dere die Konsequenz, dass der Über- schuss der laufenden Gebarung der Gemeinden in den letzten 20 Jahren von durchschnittlich 25 Prozent im Jahr 1999 auf 14 Prozent im Jahr 2018 gesunken ist. Dies ist fast eine Halbie- rung“, weiß Biwald. Dass die gravierenden Einbußen, welche die Gemeinden in Folge der Corona-Krise zu stemmen haben, ihre Situation nicht verbessert, ist genauso klar wie entsprechende Unterstüt- zungen notwendig sind. „In dieser Phase haben die Gemeinden ihre Bür- gerinnen und Bürger durch die Krise geführt, die Daseinsvorsorge am Lau- fen gehalten und sind trotz Distanz noch enger zusammengerückt. Damit wurde unseren Landsleuten klar auf- gezeigt, dass die Gemeinde nicht bloß eine Verwaltungsebene ist, sondern gesellschaftlicher und sozialer Mittel- punkt und damit das pulsierende Herz unserer Demokratie“, betont Alfred Riedl, Präsident des Österreichischen Gemeindebundes, und befeuert die ewige Forderung nach einer Stärkung der Gemeinden und Städte. Damit sie nicht zu puren Marionetten verkom- men. In einem schönen Märchen.
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